Mehr Mut und Esprit für eine charismatische Reuss

05.05.2022 - Léon Schulthess

Luzern besitzt dies, wovon viele andere Ortschaften träumen – einen See und Fluss. Diese natürlichen Quellen inmitten Urbanität prägen nicht nur das Stadtbild, sondern dienen der Bevölkerung und den Tieren als wichtiger Erholungs- und Lebensraum. Doch könnte Luzern nicht mehr daraus machen? Andere Städte am Wasser zeigen, dass wir kreativer sein dürfen.

Mit der «Ufschötti», dem Wagner oder dem Seebad haben wir am See einige äusserst beliebte Bade- und Vergnügungsräume. Ob Flanieren entlang des Quais, spielen auf der Hundewiese bei der Seeburg oder ein erfrischendes Getränk auf dem Inseli – die Bevölkerung mag es, sich am See aufzuhalten. In den letzten immer heisseren Sommer sind viele Plätze so populärer geworden, dass die idyllische Entspannung nicht mehr derart geniessbar ist. Bei der nötigen Dezentralisierung kommt unsere Reuss zum Zug.

Nebst dem Nordpol und wenigen Einstiegstreppen gibt es an der Reuss keinen entspannenden Freiraum. Die Betonverbauungen halten die Reuss auf Distanz. Dabei könnte entlang der Ufer ein nachhaltiger Naherholungsraum generiert werden, der Mensch und Umwelt dient. Naturnahe lokale Freiräume sind vielfältig und bringen bioklimatische, psychohygienische, lokalwirtschaftliche und kulturelle Vorteile. Sie tragen auch eine ästhetisch-stadtgestalterische Funktion in sich, welcher sich Luzern dynamischer, frecher und innovativer annehmen darf. Pragmatismus und mutige Visionen sind keine Antonyme.

Luzern, habe Mut zur Innovation und Kreativität

Andere Städte zeigen, dass am Wasser verschiedene innovative Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen werden können. Beim Zürcher Schanzengraben wurde eine wassernahe Promenade errichtet und beim Wipkingerpark gelangt man per breiten abgetreppten Zugang in die Limmat. In Bern bietet sich die Aare mit Steinstränden beim Elfenau oder dem Marzili an. Entlang der Arve in der Genfer Agglomeration führt ein Radweg in wenigen Minuten aus der Stadt in eine andere Welt. Auf der Seine in Paris, in Kopenhagen oder Rotterdam gibt es teils bewegliche Inseln im Wasser und grüne Gärten. Bereits 1516 beschrieb Thomas Morus mit seinem Idealstaat «Utopia» einen Freiraum, der mit öffentlichen Gärten zum Nutzen und Vergnügen der Bürger*innen beitragen soll.

Luzern muss bei der kreativen Gestaltung nicht mit Projekten in KKL-Dimension trumpfen – die Devise «klein, aber oho» reicht. Vevey beispielsweise hat am See im ansonsten unzugänglichen Steinufer mehrere Stühle installiert. Ein Reussweg kann mit Balkonen oder weiten Hängematten über dem Fluss ergänzt werden. Zur Verflechtung mit der Natur können kleine spielerische Deltas errichtet oder mit einem Kanal ein Wasserspielplatz gebaut werden. Bestehender Raum muss auch umgenutzt werden. Wieso nicht unterhalb des Lehnen-Viaduktes den brachen Raum für Gewerbe und Ateliers nutzen, wie es das Projekt «Stadt am Wasser» längst visualisiert hatte? Oder die A2-Brücke überdachen und so ein Urban Gardening schaffen, welches als Verbindung zwischen St. Karli und Kasernenplatz dient?

In die Projekte können auch lokalhistorische und -kulturelle Aspekte einfliessen: Den Reusssporn des ehemaligen «Mississippi-Dampfers» wieder zu einer Mole umwandeln oder das Inseli mit einem Kanal wieder zu einer echten Insel machen.

Keinen 0815-Freiraum

Von diesen Ideen behaupte ich keine allgemeine Umsetzbarkeit. Die Kritik zielt auf die 0815-Haltung der bisherigen Stadtplanung. Ideen, welche neuartig für Luzern gewesen wären, wurden oft im Vorhinein weggestrichen, ohne diese eingehender geprüft zu haben. Die planerische Ergebnisoffenheit Luzerns muss als solche gelten und somit aussergewöhnliche und visionäre Ideen ernst nehmen und weiterverfolgen. Luzern ist kein langweiliges Provinzstädtchen und kann mehr!

Denn durch einen einzigartig attraktiven Freiraum an der Reuss profitiert das lokale Gewerbe, aufgrund vermehrter Laufkundschaft, und der Luzerner Tourismus, der mit dem Charisma der Reuss einen weiteren Pull-Faktor hat. Anwohner*innen und Quartiere können sich vernetzen und entwickeln. Trassen für Fussgänger*innen und Velofahrer*innen am Wasser verbinden Luzern mit der Agglomeration und fördern die nachhaltige Mobilität. Schlussendlich verteilen sich im Sommer die Menschen in der Stadt besser, der See wird entlastet und das Stadtleben von einem anderen Winkel betrachtet.

Kosten und potenzielle Gefahren

Dass solche Projekte von Steuern getragen werden, ist unumgänglich. Gehören aber nicht gerade solche Umsetzungen für die Allgemeinheit in den Fokus einer Finanzierung durch Steuern? Alle tragen ihren Anteil bei, alle können von dem öffentlichen Resultat profitieren. Gemeinsam tragen Luzerner*innen die vielfältige Entwicklung ihrer Stadt.

Eine Gefahr, welche durch solche Bestrebungen der Stadtentwicklung aber besteht, ist eine Gentrifizierung der betroffenen Region. Negative Auswirkungen könnten lokal steigende Mietpreise sein und die Homogenisierung der Anwohner*innen. Dem gilt es Einhalt zu gebieten, beispielsweise durch einen unkommerziellen Fokus und eine starke Partizipation der hiesigen Bevölkerung, damit verschiedene Interessengruppen gemeinsam die Reuss zur Oase gestalten und diese Jung und Alt dient.