Eine Gruppe von SP-Genossinnen und Genossen kritisiert medial den «Wirtschaftsdemokratie»-Antrag und will ihn am Parteitag zur Überarbeitung zurückweisen und nicht diskutieren. Ein seltsamer Zug für diese Gruppe, welche sich durch die Formierung einer sozialliberalen Plattform in die Diskussion darüber einbringen möchte, wohin die SP steuert.
Und absurd ist dieser Zug für die Personen, die sich in den Medien gerne darüber beklagen, wie wenig Gehör sie innerhalb ihrer Partei finden. Dabei irren die GenossInnen in dem Punkt, dass «Gehör finden» nicht wirklich damit gleichzusetzen ist, dass eine Partei ihrer imaginierten Expertise Folge leistet. Gehör finden ihre Positionen über sämtliche medialen Kanäle. So häufig, dass man sich wünschte, man würde für eine längere Zeit ausnahmsweise nichts mehr von diesen Positionen hören. Denn es sind Positionen, die längst bekannt und längst diskutiert sind und auch dadurch nicht aktueller oder interessanter oder richtiger werden, wenn sie auf der Abwärme internationaler Politik von Neuem angerührt werden.
Neu angerührt werden die Positionen insbesondere von Rudolf Strahm, dem Grosskritiker der Sozialdemokratie. Strahm, der die Zukunft der SP ebenso gerne im Sozialliberalen verortet, wie das die benannte Gruppe um Daniel Jositsch, Pascale Bruderer, Hans Stöckli, Evi Allemann, Mario Fehr, Claude Janiak, Chantal Galladé, Yvonne Feri und Tim Guldimann tun (siehe unter «Dateien»).
Strahm schafft es, ob der Wahl von Trump Kritik an der Entfremdung zwischen Arbeiterschaft und SP zu üben. In vielen Punkten liegt er hier richtig. Und doch sind die berechtigte Kritik und das Ansprechen wunder Punkte schlussendlich bloss ein Feigenblatt für den Kern seines Anliegens: Die Kritik am SP-Wirtschaftspapier, welches eine falsche Reaktion auf die skizzierte Problematik sei. Falsch ist das Wirtschaftspapier indes sicher nicht. Es ist vielmehr eine von vielen nötigen Massnahmen zur Klitterung des Grabens zwischen akademisierter Parteielite und ArbeitnehmerInnenschaft. In ihrer Summe haben die Massnahmen auf den Kern des Problems abzuzielen. Nämlich auf die Synthese einer linken Ideologie. Diese ist der Linken abhandengekommen und sie muss sich eine solche Ideologie dringend von Neuem schaffen.
Rechte Linke, oder Sozialliberale wie sie sich gerne nennen, sind bei einer solchen Äusserung schnell im Begriff, den Ruf nach mehr Ideologie als formvollendeten Ausdruck des Absurden zu schmähen. Die Schweiz und ihre Bevölkerung sähen sich mit realen Problemen konfrontiert. Ideologie sei da fehl am Platz. Es sei Pragmatismus gefragt, um die Auswirkungen einer gnadenlosen Wirtschaft zu lindern. Hier offenbart sich, was wirklich absurd ist: Die Position, in der sich die SP ohne stringent linke Ideologie befindet. Seit Jahrzehnten führt eine streng ideologisch agierende bürgerliche Rechte Angriffe auf die Solidarität in diesem Land, welche die Linke nie für möglich gehalten hätte.
Sie kriminalisiert AusländerInnen, stellt SozialhilfebezügerInnen unter den Generalverdacht des Betrugs. Sie fördert durch massive Steuersenkungen und damit einhergehende Sparmassnahmen eine Umverteilung von unten nach oben und baut den Staat zum strafenden Nachtwächter zurück.
Vor dem Hintergrund des Handwerks dieser eiskalten IdeologInnen ist die SP zur letzten Verteidigerin von bürgerlichen Werten geworden. Sie verteidigt die Freiheit des Individuums, Solidarität und Chancengleichheit auf einem politischen Terrain, auf dem die Bürgerlichen in der Lage sind, auch noch das letzte Fünkchen Anstand gegenüber weniger privilegierten Menschen zum Luxus erklären zu können.
Wer als Linker mit dieser Position ein Problem hat, darf sich nicht selbstmitleidig in den eigenen Tränen suhlen. Und erst recht nicht darf die sozialdemokratische Antwort auf die bürgerliche Agenda eine Anpassung an deren Gesellschaftsentwurf bedeuten.
Dem enthemmten Gebaren ist im Gegenteil ein eigener Gesellschaftsentwurf entgegenzusetzen. Weshalb das so wichtig ist, zeigen gerade die Äusserungen der sozialliberalen Gruppe um Jositsch, Fehr und GenossInnen. In Ermangelung eines sozialdemokratischen Weltbildes existiert für sie bloss eine marktkonforme politische Logik. In dieser Weltsicht reicht es, Arbeitslose nicht gleich aus der Wohnung werfen zu wollen und ein bis zwei Flüchtlinge mehr aufzunehmen, als es die SVP gerade gefordert hat, um als links zu gelten.
Schlussendlich ist es eine solche Politik, von der niemand weiss, worauf sie eigentlich hinauswill und die man deshalb auch nicht wählen kann. Sprenkel netter Projekte ersetzen keine Idee einer menschenfreundlichen Gesellschaft. Das Wirtschaftspapier ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer politischen Zielsetzung, welche über eine Gestaltung von Infrastrukturen und der Verteidigung sozialer Errungenschaften hinausgeht.
Weder bei Rudolf Strahm, noch bei den anderen KritikerInnen des Wirtschaftspapiers handelt es sich um VerfechterInnen einer bürgerlich-kalten Leistungsgesellschaft. Aber sie lassen sich offensichtlich einlullen von der ebenfalls bürgerlichen Idee einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, in der jeder reich werden kann und in der unvermeidbare Kollateralschäden durch Sozialprogramme auf ein erträgliches Mass zu reduzieren sind.
Weil aber eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die unvermeidbar Kollateralschäden produziert für sich selber unerträglich ist, braucht es Alternativen. Wer darüber nicht diskutieren will, muss sich schlussendlich Gedanken über seine Parteizugehörigkeit machen. Vielleicht wäre es der vorläufigen Gestaltung der Schweizerischen Gesellschaft dienlicher, besagte Exponentinnen würden ihren Beitrag dazu durch eine Sozialdemokratisierung der FDP leisten.
Joël Mayo, JUSO Luzern